Evolutionärer Humanismus

Die Hochschulgruppe Säkularer Humanismus vertritt die weltanschauliche Position des Evolutionärer Humanismus.  Ursprünglich von dem Evolutionsbiologen Julian Huxley herausgearbeitet, dem ersten Generaldirektor der UNESCO, basiert dieses Ideensystem auf der Einsicht, dass ein solides wissenschaftliches Fundament in Denken und Handeln notwendig ist, um die Menschheit für die Herausforderungen der Zukunft rüsten und ihr die Möglichkeit zur Gestaltung einer besseren Welt zu bieten. Dabei verarbeitet der Evolutionäre Humanismus nicht nur Erkenntnisse aus der Forschung, die klassische Vorstellungen vom Menschsein umwerfen („Krone der Schöpfung“, „Mittelpunkt des Universums“, „freier Wille“), in einem positiven Sinne, sondern verpflichtet sich auch dazu, sich selbst im Lichte neuer Erkenntnisse evolutionär weiterzuentwickeln. In dieser Weltanschauung wird die wissenschaftliche Betrachtung der Welt, die Position des Menschen in einem unvorstellbar großen und alten Universum zur Grundlage des oft religiös konnotierten Gefühls der Ehrfurcht. Gleichzeitig steht im Zentrum des ethischen Denkens des Evolutionären Humanismus der Mensch, dessen individuelle Freiheit zu schützen ist und dem die Mittel zu geben sind, um für alle Menschen eine bessere Zukunft zu gestalten.

Ein evolutionäres System

Charles Darwin
Charles Darwin

Wir leben in einem Zeitalter des rasanten wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts. Das tägliche Leben wäre ohne die Annehmlichkeiten, die uns die moderne Technologie bereitet, nicht mehr zu denken: Elektrizität, Handys, Internet, digitale Tonträger, moderne Medizin – und beinahe täglich kommen neue Entwicklungen auf den Markt, die das Potential in sich tragen, die Welt weiter zu verändern. Der Motor dieser Umbrüche, die sich im Laufe der letzten Jahrhunderte nur beschleunigt haben, sind Wissenschaft und Forschung. Doch neue Erkenntnisse über den Aufbau, die Zusammensetzung und die Gesetzmäßigkeiten unserer Welt haben nicht nur massiven Einfluss auf unser profanes Alltagsleben, sondern erschüttern auch die Ideensysteme, um die herum Menschen seit Jahrhunderten ihr Leben gestalten. Der Mensch als die Krone der Schöpfung, die Erde als Zentrum des Universums, die Schöpfung als Ursprung der Welt, sind nur einige alte Gewissheiten, die angesichts modernen Wissens längst unhaltbar geworden sind.

Die massiven gesellschaftlichen Veränderungen, die Wissenschaft und Technologie mit sich bringen, lassen viele tradierte Ideensysteme ohne überzeugende Antwort zurück – weder auf die ethischen Fragen, die die technischen Möglichkeiten der Gegenwart und Zukunft aufwerfen, noch auf die Widersprüche zwischen menschheitszentristischen Glaubenswahrheiten und wissenschaftlich erzwungener Bescheidenheit bezüglich der eigenen Stellung im Kosmos. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass ein neues Ideensystem von Nöten ist, dass all die gewissheitserschütternden Erkenntnisse moderner Wissenschaft produktiv verarbeiten und zur Grundlage für eine positive Zukunftsvision machen kann, die die Möglichkeiten des technischen Fortschritts begrüßt: Den Evolutionären Humanismus.

Evolutionärer Humanismus ist eine naturalistische, transhumanistische, globalistische Weltanschauung, die ihr Menschenbild aus einer Verbindung von wissenschaftlicher Erkenntnis und den ethischen Prinzipien des klassischen Humanismus und der Aufklärung aufbaut. Das bedeutet zwangsläufig auch die Anerkennung der Tatsache, dass Menschen trotz ihrer herausragenden kognitiven, sozialen und gestalterischen Fähigkeiten auch im Prozess der biologischen Evolution entstanden sind und so mit allen anderen Lebensformen der Erde verwandt sind. Um der rasanten Veränderung der Welt in unserer modernen Zeit Rechnung zu tragen, versteht sich der Evolutionäre Humanismus dabei selbst als ein evolutionäres System, das sich im Lichte neuer Erkenntnisse weiterentwickelt. Es gibt keine Glaubenswahrheiten oder absoluten Überzeugungen; stattdessen sind Evolutionäre Humanisten dazu angehalten, ihre eigenen Überzeugungen stets kritisch zu hinterfragen und auf Konsistenz mit Logik und empirischen Erkenntnissen zu prüfen.

Such a Humanism is necessarily unitary instead of dualistic, affirming the unity of mind and body; universal instead of particularist, affirming the continuity of man with the rest of life, and of life with the rest of the universe; naturalistic instead of supernaturalist, affirming the unity of the spiritual and the material; and global instead of divisive, affirming the unity of all mankind. Nihil humanum a me alienum puto is the Humanist’s motto. […] As the overriding aim of evolving man, it is driven to reject power, or mere numbers of people, or efficiency, or material exploitation, and to envisage greater fulfilment and fuller achievement as his true goal.

Julian Huxley, The Humanist Frame

Wettstreit der Ideen

Trotz aller Bereitschaft, überholte Überzeugungen über die Beschaffenheit der Welt zu revidieren, bleibt doch die Zielsetzung im Evolutionären Humanismus unverändert: Die Schaffung einer besseren Welt mit Lebensverhältnissen, die möglichst allen Menschen die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit erlaubt. In diesem Sinne ist der ethische Imperativ dieser Weltsicht gegeben durch das Prinzip der unantastbaren Menschenwürde: Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben nach seinen ganz eigenen Vorstellungen zu gestalten. Daraus folgt ein klares Eintreten für Menschenrechte, eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse und die Bekämpfung von Rassismus, Sexismus und anderen Formen der Diskriminierung.

Die verschiedenen Lebensentwürfe, Überzeugungen und Weltsichten, die die verschiedenen Menschen auf der Welt hervorbringen, müssen dabei als Chance für den Evolutionären Humanismus begriffen werden. Als evolutionäres System, das sich selbst immer weiter verbessern möchte, ist er angewiesen auf einen produktiven Wettstreit der verschiedenen Ideen und Überzeugungen und bietet einen integrativen Rahmen für diesen. Als Evolutioäre Humanisten sind wir uns über die großen Schätze im Klaren, die die Traditionen von Aufklärung, Religionen, Kultur, Philosophie und vielen Jahrtausenden Menschheitsgeschichte zu bieten haben, und schätzen auch den Reichtum an neuen Ideen, der zu jedem Zeitpunkt im evolutionären Streit der Weltanschauungen hervorgebracht wird. Bei dieser Vielfalt an Gedanken und Betrachtungsweisen ist jedoch entscheiden, dass man diejenigen erkennen kann, die geeignet sind, dem Fortschreiten der Menschheit zu dienen, und diejenigen verwirft, die sich als schädlich erweisen. Eine Idee kann deshalb nie alleine deshalb als gut oder schlecht gelten, weil sie tradiert ist oder von einer bestimmten Person geäußert wurde, sondern muss für sich kritisch geprüft werden. Wir sind daher überzeugt von der Notwendigkeit einer produktiven Streitkultur, in der sich Anhänger verschiedenster Religionen, Ideensysteme und Lebensentwürfe austauschen, ihre Ideen gegeneinander prüfen und so gemeinsam ihre Weltsichten weiterentwickeln und der Wahrheit näher kommen können.

Kernideen des Evolutionären Humanismus

Die zentralen Gedanken des Evolutionären Humanismus lassen sich folgendermaßen umreißen:

  1. Anknüpfen an der Tradition von Aufklärung und klassischem Humanismus: Wir gehen davon aus, dass die menschliche Vernunft prinzipiell in der Lage ist, die Welt zu erkennen und mithilfe der wissenschaftlichen Methode ein zutreffendes Weltbild zu konstruieren. Dies bildet die Grundlage für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen im Sinne der Ideale des Humanismus: Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, und ein friedliches Zusammenleben aller Menschen miteinander.
  2. Evolutionäre Erweiterung des Humanismus in die Vergangenheit: Anders als im klassischen Humanismus gehen wir nicht mehr von einer Sonderstellung des Menschen im Kosmos oder gar einer „Krone der Schöpfung“ aus, sondern erkennen an, dass der Mensch ein unbeabsichtigtes Ergebniss evolutionärer Prozesse auf einem kosmischen Staubkorn in einem von Abermilliarden Sternensystemen ist. Insbesondere ist der Mensch zwar kognitiv und sozial mit außerordentlichen Fähigkeiten ausgestattet, aber dennoch mit allen anderen Lebensformen der Erde verwandt und nur graduell von diesen unterschieden.
  3. Evolutionäre Erweiterung des Humanismus in die Zukunft: Die moderne Technologie bietet dem Menschen die Möglichkeit, die eigene Zukunft und die Zukunft der Erde in einem noch nie vorstellbaren Maße zu beeinflussen. Gerade die moderne Gentechnik bietet ein enormes Potential, die teilnahmslose und brutale darwinische Evolution, die uns zwar für ein Leben in der Steinzeit, jedoch nicht in der modernen Welt optimiert hat, durch einen menschlich-mitfühlenden Prozess zu ersetzen. In dieser Möglichkeit liegt jedoch auch ein enormes Risiko begründet, was eine gute ethische Abwägung des Umgangs mit diesen Technologien erfordert.